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Thomas Michalak, ebenfalls mit
den Mitteln der Fotografie arbeitender Künstler, lernte Lips anläßlich
einer Ausstellung 1987 in Berlin kennen. In den letzten beiden Lebensjahren
von Lips intensivierte sich die Freundschaft noch einmal, Michalak half
bei der Organisation von Ausstellungen und began das Archiv zu ordnen.
Den folgenden Text schrieb er kurz nach dem Tode von Lips für die Zeitschrift
"Magnus".
Thomas Michalak
Roger Lips 1952 - 1994
Vor beinahe acht Jahren lernte ich den Kölner Fotografen Roger Lips anläßlich seiner Ausstellung "Positiv-Negativ" im Berliner Café "Anderes Ufer" kennen. Die Wände des Cafés waren damals mosaikartig mit zwei Postkarten des Künstlers, einem roten und einem grünen Kopf, beklebt. Ein Jahr später konnte ich eine umfangreichere Ausstellung seiner Arbeiten in der "Fotogalerie im Wedding", die ich gemeinsam mit den Fotografen Ingo Taubhorn, Thomas Rohloff und Werner Land betrieb, zeigen. Seither verband mich eine langsam wachsende Freundschaft mit diesem stillen, sensiblen, dann auch wieder impulsiven und kompromißlosen Menschen Roger Lips.
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Dieses
Selbstporträt fertigte Roger Lips 1993 nach einem Foto von Thomas
Michalak. |
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Obwohl Roger Lips' Werk in den achtziger Jahren in vielen Ausstellungen der
Öffentlichkeit zugänglich war und einige seiner Arbeiten in bedeutenden
Sammlungen vertreten sind, ist sein Name und sein Werk außerhalb des Kölner
Raums nur wenigen ein Begriff. Ein Grund für mich, diesen Beitrag nicht
als Nachruf zu gestalten, sondern das Werk Roger Lips' anhand einiger
wichtiger Arbeiten noch einmal im Ansatz vorzustellen.
Roger Lips wurde an der Folkwangschule in Essen zum Designer ausgebildet.
Von der Graphik kam er zur Fotografie, bezeichnete seine Arbeit eine Zeitlang
auch programmatisch als "Foto-Graphik", suchte neue Formen in der Verbindung
beider Medien. Mitte der achtziger Jahre, die Zeit, in der sein Hauptwerk
entstand, war der theoretische Streit um Fotografie als Kunst in vollem
Gange. Heute, wo es fast selbstverständlich ist, daß bildende Künstler
sich auch fotografischer Mittel bedienen und Arbeiten zeitgenössischer
Fotografen kunstmarktfähig geworden sind, ist kaum noch nachzuvollziehen,
daß seine Arbeit sowohl auf Seiten der herkömmlich abbildenden Fotografie
als auch in den angestammten Bereichen der bildenden Kunst Befremden auslöste.
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Zwei
aus der Reihe der Köpfe aus dem Jahr 1986 |
Eine wichtige, immer wieder gezeigte Werkgruppe sind die Köpfe, früher
von Lips als Porträts bezeichnet, die Mitte der achtziger Jahre entstanden.
Ausgangspunkt sind oft anonym aufgenommene Bilder junger Männer. Durch
extreme Vergrößerungen, chemische und mechanische Bearbeitungen des Diapositivs,
vielfaches Um- und auch Übereinanderkopieren ihrer Persönlichkeit beraubt,
werden diese Bilder zu einer Art Ikone. Gebrochene, zerstörte Ikonen allerdings:
Erotisch aufgeladen mit den Projektionen sowohl des Künstlers als auch
des Betrachters, werden sie doch nicht verfügbar und lassen durch den
destruktiven, dekonstruierenden Duktus des Künstlers eine starke Spannung
zwischen Zuneigung, Sehnsucht, Wut und Zerstörung spürbar werden.
Etwa zur selben Zeit entstanden einige Einzelbilder von Männergruppen. Ebenfalls mit den oben genannten Techniken ihres dokumentierenden Gehalts beraubt, scheinen sie sich mit den Phantasien des Betrachters zu verbinden und eine mann-männliche Ritualität zu behaupten, die den Ritualen schwuler Subkultur vorausgeht und sie übersteigt.
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Bilder
wie dieses wurden von Lips "Szenen" oder "Szenerien" genannt. |
Um tiefer verwurzelte Formen scheint es hier zu gehen, die, vorsichtig gemutmaßt, dem Künstler interessanter, kraftvoller, erstrebenswerter schienen und als mögliches Gegenbild zur subkulturellen schwulen Interaktion zumindest befragt wurden.
Immer wieder setzte sich Roger Lips mit seiner ihm frühzeitig bekannt
gewordenen HIV-Infektion auseinander. Unter dem Arbeitstitel "positiv-negativ"
entstanden eine Reihe von Bildern, in denen, dem Wortsinn folgend, ein
Diapositiv mit einem Schwarzweißnegativ gemeinsam vergrößert wurde. Anders
als in den bisherigen Arbeiten wurden die Protagonisten hier nicht mehr
aus der Distanz fotografiert, sondern die Teilbilder sind mit Bekannten
und Freunden in gemeinsamen Sitzungen inszeniert. Auch inhaltlich spiegelt
sich die größere Nähe zum Objekt. Elemente tänzerischer und schauspielerischer
Selbstinszenierung: Wir erleben Hingabe, Geborgenheit und Schutz. Ihren
Höhepunkt finden Sandwichtechnik, also das Übereinanderlegen verschiedener
Diapositive, und Doppelbelichtung in einem großen als Triptychon angelegtem
Tafelbild, dessen Mittelteil an christliche Kreuzigungsdarstellungen erinnert.
Die
Seitenflügel entstanden 1986, der Mittelteil kam 1990 hinzu. |  |
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In den 90er Jahren verlieren die Abstraktionstechniken für Roger Lips
an Bedeutung. Er wendet sich dem Porträt zu, fotografiert Nähe und
Erotik, die zwischen zwei sich liebenden Menschen entstehen kann. Ein
wichtiges Thema wird der Tanz als direkter körperlicher Ausdruck von Befindlichkeit.
Und noch einmal setzt er sich mit Aids und den Gesetzen schwuler Subkultur
auseinander, die er als lieblos und mechanisch empfindet. In einem beeindruckenden
Triptychon kontrastiert er eine Vielzahl einem Porno entnommener "Blow-Jobs"
mit dem warmgetonten Bild zweier Unterarme und Hände, die gebend wie empfangend
zueinander geöffnet sind.
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conserver
sex links = oben sowie als auch unten = conserver sex rechts, 1992 |
Die Ambivalenz, das Befragen von Möglichkeiten in den früheren Arbeiten
ist in den Arbeiten dieser Gruppe einem eindeutigen moralischen Standpunkt
gewichen.
Die letzte Arbeit von Roger Lips, ein paar Monate vor seinem Tod fertiggestellt,
beeindruckt mich deshalb so sehr, weil sie sich am Lebensende wieder der
Kindheit zuwendet. In diesen letzten Schwarz-Weiß-Arbeiten kehrt Roger
Lips auch wieder zu den alten Bearbeitungstechniken zurück. Zu sehen sind
20 Gesichter des Kleinkindjungen Noah. Die Augenhöhlen bleiben schwarz.
Seltsam leer erinnern sie an Totenschädel. In jedem dieser leicht unscharfen,
durch die Brauntonigkeit an eigene, alte Kinderbilder erinnernden Fotografien
wird die Gefährdung und scheinbare Willkürlichkeit lebendiger menschlicher
Entwicklung spürbar. Hier ist der Moment, an dem das Kind noch alle Möglichkeiten
in sich zu tragen scheint, seine gesellschaftliche und individuelle Formung
indes, Wurzel allen späteren Glücks und Unglücks, bereits begonnen hat.
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Zwei
aus der Reihe der 20 Bilder umfassenden letzten Arbeit von Lips aus
dem Jahr 1994 |
Roger Lips starb am 27. Dezember 1994 an den Folgen von AIDS.
Thomas Michalak, Köln 1995
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