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      Der folgende Text von Manfred Geissler 
        fand sich als maschinengeschriebenes Manuskript im Nachlaß. Wahrscheinlich 
        wurde er anläßlich der Ausstellung "oben sowie als auch unten" in der 
        Galerie Tina Farina, Köln, 1988 geschrieben. Vom Autor in Anführung hervorgehobene 
        Passagen stammen Geissler folgend aus Gesprächen mit Lips. Die Redaktion 
        besorgte Angelika Wichert, Berlin. 
      
      Manfred Geissler
      Warum Bilder entstehen oder von der Entstehung der Bilder
       
      
Worte sind Gedanken, Annäherung an etwas, Versatzstücke aus Bildern, wie  Bilder  Versatzstücke aus komplexen, mehrdimensionalen Systemen, dem  scheinbar Unendlichen sind. Bilder manifestieren sich unter Einwirkung von dem, was innen ist: 
Persönlichkeitsfaktoren (Empfindung - Geist)
Persönlichkeitsstruktur (Archäologie der Psyche)
Erfahrungen ("...die aus der Geschichte erzählen")
 körperlich - geistige Konstitution ("Spontaneität - aus der Freiheit der Ekstase... Bilder zulassen"),
und dem, was außen ist: Dem Reiz einer Person und/oder eines Gegenstandes, einer Konstellation von Personen oder Gegenständen, eine Situation bildend, die nur Bruchteile einer Sekunde dauern muß, jedoch  fotografisch als Abbild von "Seins"-Zuständen fixiert werden kann. 
         Ein Bild ist der permanente Versuch, den Taumel zwischen den Polaritäten, 
          die ewige Rückkehr zum Anfang, den Kreislauf von Geburt - Leben - Tod, 
          das (da-) ZWlSCHEN, das Innen und Außen, die Emotion und die Ratio zu 
          spiegeln. Auf der Suche nach Klarheit, Eindeutigkeit, einem Haltepunkt 
          "...den inneren Weg, die Zielrichtung zu finden" Aber das Sein ist unklar. 
          Dahinter steht die Frage nach dem Woher, Warum, Wohin. 
         ZWISCHEN OBEN ALS UNTEN überschreibt Roger Lips seine ausgestellten 
          Arbeiten. Der Titel ist entstanden aus seiner Auseinandersetzung mit 
          Hermes Trismegistos und dessen Weltregeln. Das Prinzip läßt sich erläuternd 
          so darstellen: Oben sowie als auch unten: Alles, was auf einer oberen 
          Ebene geschieht, findet seine Entsprechung auch in einer unteren Ebene...; 
          alles in der Welt ist bipolar...; zwischen diesen ...Polen herrscht 
          ein gegenseitiger Kraftfluß. Alles lauft zyklisch, rythmisch ab und 
          untersteht dem Gesetz der Balance und Ausgewogenheit." 
Diese Grundprinzipien liegen den Arbeiten Roger Lips' zugrunde. Roger Lips beschäftigt das ZWISCHEN den Polen, das im Spannungsfeld befindliche. Er will aufzeigen, daß die Verhältnisse, die Pole in beide Richtungen umkehrbar sind: oben <-> unten, positiv <-> negativ, innen <-> außen etc. 
         Die Bandbreite seiner bildnerischen Ausdrucksweise ist vielfältig: 
          Es sind ihn intuitiv berührende Szenen, ihre teilweise zeichnerisch-malerische 
          Bearbeitung, die Gestaltung von Ausschnittvergrößerungen bis hin zur 
          Abstraktion, der völligen Zerstörung oder Neuschöpfung - die Kombination 
          (Übereinanderprojektion) von Bildern und Versatzstücken und die 
          Umkehrung von Positiv in Negativ. Bei den Farbbildern ist die Farbe 
          eigentlich nie "real" wiedergegeben: einerseits fast monochrom-modulierende 
          Farbigkeiten, andererseits durch Bearbeiten und den Gebrauch verschiedenartigster 
          Fotomaterialien erzeugte morbide Farbkonstellationen, bis hin zu neuen, 
          z.T. gesteuerten Farbkünstlichkeiten und Rastererscheinungen. 
         Schwerpunkt dieser Ausstellung sind Gegenüberstellungen von zwei oder 
          mehreren "Foto-Graphien" (Graphie: griech. für schreiben, mit der Hand 
          (nach-) bearbeiten), die zu neuen, miteinander korrespondierenden Bildkombinationen 
          werden: "Neuer Rhythmus, Harmonie, Disharmonie..."  
        
           
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            |  o.T., 1988 | 
             o.T., 1988 | 
           
         
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          |  o.T., 
            1988 | 
         
 
      Gegenüberstellungen ,die mal als Bildpaar neben- oder übereinander 
        stehen, mal an die klassische Form des Triptychons erinnern oder auch 
        als Aneinanderreihung eines in sich variierten Bildes präsentiert werden. 
       
      Beim ersten hier abgebildeten Bildkomplex sind einer ikonographisch symbolhaften 
        Zeichnung "zensierte Gesten", ein entpersonifiziertes Porträt, "Hilflosigkeit" 
        entgegengesetzt. Die beiden Bilder werden flankiert von schwarzen Bildteilen, 
        die, bezieht man sich auf die im klassischen Triptychon hinweisende Funktion 
        der Flügelbilder auf das Mittelbild, hier einfach als schwarze Begrenzungen 
        erscheinen und keinen differenzierteren Hinweis geben, als den, eben schwarz 
        zu sein: "dunkel gefangen". 
Im zweiten Bildkomplex ist ein vorher entstandenes, also gespeichertes Bild auf eine Wand projiziert, deren Oberfläche keine gewohnt glatte, sondern eine unebene Leinwand ist, sich eher im Zustand des Verfalls befindend. Die Szenerie ist abfotografiert und als Abbild vom projizierten Abbild zu sehen (zeitlich-räumliche Verschachtelung). "...die Projektion des inneren Bildes des Betrachters": Eine Person im Lichtkegel in der Gestik des Getroffenen / Betroffenen, "...sich ans Herz greifenden." Im unteren Bild eine Umkehrung: Ein ehemals (im Positiv) weißer Lichtstreifen wird im Negativ oder in der (Rück-) Um-kehrung zu einem dunklen, schlangenartigen Gebilde, welches sich in eine unklare Konstellation hineinwindet und bedrohlich wirkt. 
      
         
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          |  o.T., 1984/88 | 
           o.T., 1984/88 | 
         
       
Im dritten Bildkomplex ist zuerst weit entfernt erscheinend und doch stark (heraus-) vergrößert und somit grobkörnig in der Struktur, fast pointillistisch anmutend, eine Landschaft dargestellt, terrassenförmige, parzellierte, überschaubare Räume, "...eine Möglichkeit von Lebensform." Das untere Bild zeigt den Ausschnitt eines Gesichtes, diesmal überzogen herausvergrößert, so daß nur der Mund im Zentrum steht, aufgerissen und in seiner Ausprägung einen Kampf zwischen großer Anstrengung und Widerstand verdeutlichend, möglicherweise ein Brüllen, ein Schreien, das sich noch nicht voll entfaltet hat - ein Befreiungsschrei?! 
Vieles könnten wir sagen in einer Sprache, deren Worte entgleiten wie Signale in unfaßbaren Räumen verloren scheinen, als wir versuchten, uns ein Bild zu machen von Zeiträumen, die wir Zukunft nennen, obwohl es unsere Vergangenheit ist. Bereit sein, Bekanntes nicht zu kennen. Das Dasein, das selbstverständlich erscheint, wird plötzlich zur Frage "...der Zufall ist Teil des Spiels - ist Möglichkeit..." 
       Manfred Geissler, Köln, Juli 1988 
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